Bei einer Reise entlang der bretonischen Küste entdeckte der Künstler Sebastian Stumpf eine Reihe von kleinen Inseln, die je nach Wellengang auftauchten und wieder verschwanden. Auf nautischen Karten waren sie nicht verzeichnet und so beschloss Stumpf, seine eigene Kartografie zu erstellen: In analog aufgenommenen Schwarz-Weiß-Fotografien setzt der Künstler je ein Eiland ins Bild. Die Aufnahmen zeigen Felsformationen ohne jede Spur von Leben, ganz so als hätte eine höhere Macht ein paar Steinbrocken auf der Horizontlinie zwischen Himmel und Wasseroberfläche aufgereiht. Je länger man sich mit den Bildkompositionen beschäftigt, desto surrealer erscheinen die Inseln: Wie weit sind sie vom Ufer entfernt? Wie hoch sind die Felsen? Könnte man hier an Land gehen oder ist doch alles nur eine optische Illusion? So abstrakt wie die Aufnahmen wirkt auch die Seekarte, mit der Stumpf seinen Weg im Kajak von der Küste bis zur Inselgruppe dokumentiert hat. Anstatt die bloße Route aufzuzeichnen, gibt der Künstler seinen individuellen Kurs samt Abweichungen und Umwegen wieder.
Der zurückgelegte Weg bestimmt auch die Sound-Arbeit „Towards a White Space“, in der Stumpf die mehr als 200 Kilometer auf dem Fahrrad zwischen seinem Leipziger Atelier und seiner Berliner Galerie beschreibt: Die Strecke erscheint als Symphonie aus Ein- und Ausatmen, Verkehrslärm und dem Rauschen des Winds. Jede anstrengende Steigung, jedes Laufenlassen der Räder wird spürbar. In einer Zeit, in der Apps unsere Schritte zählen und Gesundheitsdaten in Echtzeit auswerten, entzieht Stumpf die persönliche Bewegung der standardisierten Mess- und Verwertbarkeit. Er lenkt die Sinne weg vom Selbstoptimierungszwang und zurück auf das, was zählt: Die Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Umgebung im Jetzt – mit allen Makeln und Hindernissen.
Text: Laura Storfner / Fotos: Sebastian Stumpf, Îles sans nom, 2022, Gelatin silver print, Copyright Sebastian Stumpf, Courtesy Galerie Thomas Fischer; Galerie Thomas Fischer, Photo: Torben Hoeke
Galerie Thomas Fischer, Mulackstr.14, 10119 Berlin-Mitte; Stadtplan
Sebastian Stumpf – Îles sans nom, 20.8.–24.9.22 (Eröffnung Fr 19.8., 18–21h)
Di–Sa 12–18 Uhr