Wenn die Blätter anfangen zu fallen und das Licht milder wird, sehnen wir uns nach den passenden Filmen. Wenn Du Dich nach einer filmischen Reise durch die Toskana sehnst, können wir Dir den düsteren und wundervoll gedrehten La Chimera empfehlen, den neuesten Film der italienischen Regisseurin Alice Rohrwacher. In dem melancholischen, krawalligen und stark an Fellini angelehnten Film spielt der „Challengers“- und „The Crown“-Hauptdarsteller Josh O’Connor den britischen Archäologen Arthur, der sein akademisches Leben hinter sich lässt, um eine Bande italienischer Grabräuber anzuführen, welche Schätze aus antiken Gräbern rauben. Die Erzählung entfaltet sich langsam und ist oft jenseitig: Man weiß nie genau, ob man die Vergangenheit oder die Gegenwart, die Realität oder einen Traum beobachtet. Rohrwachers Mischung aus Realität und Fantasie und O’Connors intensiver Darstellung brachten dem Film in Cannes eine neunminütige Standing Ovation ein. Den Film solltest Du Dir auf jeden Fall mehrmals anschauen – das kannst Du nun besonders gut, denn La Chimera ist auf Mubi zusammen mit der gesamten Sammlung von Alice Rohrwacher-Filmen verfügbar zum Streamen. Wenn Du noch keine Mitgliedschaft hast, kannst Du Mubi über diesen Link 30 Tage lang kostenlos testen.
Text: Benji Haughton / Credit: Alice Rohrwacher, La Chimera (2023)
La Chimera kann jetzt über Mubi gestreamt werden.
@mubideutschland
Reizüberflutung. Spektakulär Barock. Ein cineastischer Fiebertraum. Man kann Marco Brambilla sicher nicht vorwerfen, dass er einen unberührt lässt. Die hypnotischen Szenen des in London lebenden Videokünstlers sind sowohl eine Atempause als auch die Krönung der flüchtigen Bilder, die wir täglich auf unseren Bildschirmen sehen. Double Feature, Brambillas neueste Berliner Ausstellung, die ab morgen (11.10.2024) im Fotografiska Berlin zu sehen ist, ist da keine Ausnahme. Sie besteht aus zwei überdimensionalen Videocollagen, „Heaven’s Gate“ (2022) und „Civilization“ (2008), die als eine Art Satire auf Hollywoods Besessenheit auf Ruhm und Reichtum dienen. Auf riesigen, mehrdimensionalen Projektionen fügen sich die geloopten Grafiken zu surrealen digitalen Wandteppichen zusammen, die die Grenze zwischen Realität und Fantasie verwischen. Ikonische Momente aus dem Goldenen Zeitalter des Films blitzen neben brennenden Stadtlandschaften auf und nehmen Dich mit auf eine unheimliche Reise durch unsere mediengesättigte Welt. Brambillas Dosis Fegefeuer und Paradies kannst Du ab morgen bis März 2025 täglich erleben.
Text: Scott Moss / Credits: Marco Brambilla, from Civilization, 2008; Marco Brambilla, from Heaven’s Gate, 2022; Foto: Koen Broos
Fotografiska Berlin, Oranienburger Str.54, 10117 Berlin–Mitte; Stadtplan
Double Feature läuft vom 11.10.2024 bis 02.03.2025.
@fotografiska.berlin
Das Jazzfest der Berliner Festspiele ist eine feste Institution des Veranstaltungskalenders – seit nunmehr 60 Jahren. Das Jubiläum muss selbstverständlich gebührend gefeiert werden: Vom 31.10.–03.11.2024 mit 24 Konzerten, wie jedes Jahr an diversen Orten des Westens der Stadt verteilt und wie immer mit dabei das Haus der Berliner Festspiele, das Quasimodo, der A-Trane und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Fans des Free-Jazz werden schon mit strahlendem Gesicht dem Eröffnungsabend entgegenfiebern, wenn im Haus der Berliner Festspiele Joe McPhee nach dem Piano Solo von Marilyn Crispell auf der großen Bühne und Sun-Mi Hong auf der Seitenbühne das Festival eröffnen. In den folgenden Tagen ist dann die halbe Welt zu Gast: die 17-köpfige Special Big Band des Gitarren-Pioniers Otomo Yoshihide aus Japan, die New Yorker Pianistin Sylvie Courvoisier oder das Projekt Tropiques um den schwedischen Trompeter Goran Kajfeš, um nur einige zu nennen. In jedem Fall nicht verpassen sollte man das legendäre Sun Ra Orchestra am Samstag (02.11) und den gesamten Zeitraum über (28.10.–03.11.) bietet das Community Lab Moabit diverse kostenlose Veranstaltungen für Groß und Klein. 1964 in Westberlin als eines der ersten Jazz-Festivals der Welt gegründet, lohnt es sich nach sechs Jahrzehnten Musikgeschichte sowohl nach vorne als auch zurückzublicken. Nicht nur das Programm vereint in der diesjährigen Edition mühelos Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Auch die Jazzfest Labs für Research und Community bilden Formate, um Aus- und Rückblicke zu erkunden, zu formulieren und neu zu denken – für einen Aufbruch in die strahlende musikalische Zukunft weiterer 60 Jahre Jazzfest Berlin.
Text: Alina Herbel / Fotos: Elizabeth Leitzell, Jade Sastropawiro & Will Shore
Jazzfest Berlin 31.10.–03.11.2024. Programm, Tickets und mehr Informationen gibt es hier.
@berlinerfestspiele
„Oh, give me the kisses of your mouth, For your love is more delightful than wine.“ Diese Zeilen klingen wie die eines romantischen Dichters aus dem 19. Jahrhundert, aber sie stammen tatsächlich aus dem letzten Abschnitt der hebräischen Bibel. Erotische Texte sind nur einige der überraschenden religiösen und kulturellen Artefakte, aus denen sich die Ausstellung Sex.Jüdische Positionen zusammensetzt – eine Ausstellung über Sexualität und Judentum, die demnächst im Jüdischen Museum Berlin zu Ende geht. Die Ausstellung (noch bis zum 06.10.2024) untersucht jüdische Einstellungen zum Thema Sexualität anhand alter und neuer Texte, Objekte und Kunstwerke. Wenn Du durch die Ausstellungsräume gehst, kannst Du das breite Spektrum der Sexualität entdecken, von der Sex-Positivität in Dr. Ruth Westheimers „Game of Good Sex“ über die feministische Kunst von Judy Chicago bis hin zu den von Sigmund Freud entwickelten Theorien der sexuellen Unterdrückung. An anderer Stelle kannst Du historische Texte neben zeitgenössischen Dokumenten betrachten, wie etwa eine aktualisierte Ketubah (traditioneller Ehevertrag), die das Bild eines frisch verheirateten gleichgeschlechtlichen Paares zeigt. Die Ausstellung, die nach ihrem Ende in Berlin in das Jüdische Museum Amsterdamverlegt wird, bietet Dir einen faszinierenden Einblick in einen komplexen und überraschenden Teil des jüdischen Lebens.
Text: Benji Haughton / Fotos: Jens Ziehe / Credit: Jüdisches Museum Berlin
Jewish Museum Berlin, Lindenstr.9-14, 10969 Berlin–Kreuzberg; Stadtplan
Sex. Jüdische Positionen bis zum 06.10.2024.
@juedischesmuseumberlin
Es gibt Gruppenausstellungen, in denen verschiedene Positionen in einer Ausstellung nebeneinander zusammenfinden. Meist freut man sich, weil man neue Künstler:innen entdeckt oder ein, zwei wirklich schöne Arbeiten sieht. Und dann gibt es Gruppenausstellungen, die sollten eher Gruppenkompositionen heißen. Sie sind selten und findet man eine, dann hat sie die Kraft, die eigene Art, Kunst zu begreifen, zu verändern. Wie in einem Orchester spielen dort verschiedene Positionen zusammen, stellen sich nicht einfach nur selbst aus, sondern bilden ein großes Ganzes. Noch bis zum 20.10.2024 ist ein solches Kunsterlebnis als flüchtige Zwischennutzung der alten Spike-Magazin-Büros in der Rosa-Luxemburg-Straße 45 zu entdecken. „Could this property be your next project?“ heißt die Ausstellung, benannt nach einer Arbeit von Michael Landy. Die gezeigten Arbeiten sind Selbstzweck und vielleicht ist das auch der Zauber der Ausstellung, denn nichts und niemand soll verkauft werden. Frank Hauschildt – Künstler, Ausstellungsmacher und eine Art geheimes Phantom der deutschen Kunstszene – hat sie zusammen komponiert aus zwei großen Sammlungen, Haus N und Ste/Di, aus Berlin und Kiel/Athen. Und was für Sammlungen das sind! Sylvie Fleury, Kasia Fudakowski, General Idea, Rebecca Horn, Eric Meier, Jeremy Shaw, Kaari Upson und Mike Kelly sind nur einige der Namen, denen man begegnet.
Im Eingangsbereich begrüßen ein Taurus-Schokokäfer von Sung Tieu, Antony Gormley stellt den Host an der Bar und eine der besten Arbeiten, die Michael Sailstorfer je gemacht hat – ein Schlagzeug aus einem alten LAPD Polizeiauto – findet sich gleich neben einem fantastischen Kleinformat von Daniel Richter aus seiner Riot-Cop-Phase. Alle Arbeiten sprechen miteinander und wenig lässt die kritische Nase rümpfen – und sogar dann passt es gut rein. Die Ausstellung ist immer samstags von 16 bis 19 Uhr zu sehen und am nächsten (28.09.) geben die Sammler:innen von Haus N sogar selbst um 17.30 Uhr eine Führung. Wer das verpasst, dem sei ein nächtlicher Besuch empfohlen: ein kleiner Automat von Malte Bartsch schaltete abends das Licht im Ausstellungsraum an. 1 Cent kostet die Sekunde – und jede ist sehr sehenswert. Ein bezauberndes kleines Erlebnis, ein bisschen wie aus einer früheren Zeit, als man durch die Kunst in Berlin noch von einer besseren Zukunft träumen konnte.
Text: Hilka Dirks / Fotos: Haus N & Ste/Di
Could this property be your next project?, Rosa-Luxemburg-Str.45, 10178 Berlin–Mitte; Stadplan
Bis 20.10.2024
@stedi.foundation