
Sie braucht nicht viel, um einen Raum, eine Ausstellungshalle – oder, wie im Fall der Neuen Nationalgalerie – einen Garten von Grund auf zu verändern. Aus nichts als Wasser und Luft schafft die japanische Künstlerin Fujiko Nakaya ihre Kunst: Künstlich erzeugt, legen sich ihre feinen Nebelschleier über die Skulpturen von Alicja Kwade und Henri Laurens, die permanent im Garten installiert sind — und die man nach Nakayas Intervention sieht, als wäre es das erste Mal. Denn wenn sich der Nebel immer zur vollen Stunde dezent choreografiert über der Wiese verdichtet, sich langsam ausbreitet und dann peu à peu wieder im Himmel verflüchtigt, erscheint das, was immer da ist, in neuem Licht. Die Architektur von Mies van der Rohe, das Gras, die Wolken, unsere Begleiter und die anderen Besucherinnen. Aber auch wir selbst. Je nach Tageszeit, Wind und Temperatur verändert sich die ephemere Installation und doch bleibt immer eines gleich: die Erfahrung, die mehr ist als bloßes Sehen. Egal ob morgens, direkt bei Öffnung um 10 Uhr, wenn die Luft noch kühl ist, oder am späten Nachmittag. Egal, ob es nieselt oder die Sonne auf den Museumsvorplatz knallt — Nakayas Nebel will man immer wieder, mehr als einmal, spüren. Ihre Skulpturen sind Alltagsmeditationen. Jeder Nebelstoß ein Haiku, der in der Luft hängt.
Seit Ende der Sechzigerjahre reist Nakaya, 1933 in Sapporo geboren, mit ihren Installationen um die Welt. Sie stellte auf der Weltausstellung in Osaka und in der Tate Modern aus, legte auf den ohnehin nebligen Hafen von San Francisco eine zweite Nebelschicht und hüllte den Englischen Garten beim Münchner Haus der Kunst in feinen Dunst. Die radikale Simplizität, das Flüchtige, macht ihre Arbeiten so betörend, dass man nicht anders kann, als sich in ihnen zu verlieren. Wenn schon nicht festhalten, dann sich wenigstens hineinziehen lassen, Hand in Hand oder alleine. Angesichts des menschengemachten Klimawandels weisen die poetisch anzusehenden Skulpturen aber weit über ihre Oberfläche hinaus. Nakaya braucht nicht viel. Doch ihre Wirkung könnte nicht größer sein.
Text: Laura Storfner / Fotos: Neue Nationalgalerie, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, David von Becker
Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str.50, 10785 Berlin–Tiergarten; Stadtplan
Fujiko Nakaya: Nebelskulptur im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie bis 14.09.2025. Die Skulptur startet zur vollen Stunde zwischen 10 und 17h.
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