GIERIGE KÖRPER UND KÖRPERLICHE GIER — CONSTANZA MACRAS „THE HUNGER“ IN DER VOLKSBÜHNE

GIERIGE KÖRPER UND KÖRPERLICHE GIER — CONSTANZA MACRAS „THE HUNGER“ IN DER VOLKSBÜHNE

Es muss circa im Jahr 2010 gewesen sein, als meine Eltern mir zum Geburtstag Karten für die Schaubühne am Lehniner Platz schenkten. Bis dahin war ich nur selten im Theater gewesen und hatte meist recht klassische Inszenierungen gesehen. Doch dieses Mal war es anders. Ich weiß nicht mehr, wie das Stück hieß, doch anstelle sprechender Schauspieler:innen bevölkerten plötzlich Tänzer:innen die Bühne: in einem wilden Kampf gegen die globalisierte Stadt, gegen Elend und Zerfall, Kapitalismus und Kaputtheit warfen sich die Körper aufeinander und in die Welt, drückten sie zuckend, bebend und krampfend gegen Bühnenbild und die Gesellschaft, tanzten sie sich durch meine Netzhaut in meinen Kopf, als würde es um ihr Leben gehen. Inszeniert und choreografiert war das Stück von Constanza Macras und ihrer Company Dorky Park. Die 1970 in Buenos Aires geborene Choreografin, die unter anderem am Merce Cunningham Studio in New York ausgebildet wurde, inszenierte seither unzählige Stücke in Berlin. Fast immer war ich da – und fast immer genauso begeistert. Nun gastiert sie in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. „The Hunger“ heißt das Stück und erforscht den Exzess. Erzählt werden anhand historischer Ereignisse des Romans „Der fremde Zeuge“ vom argentinischen Schriftstellers Juan José Saer die Erfahrungen europäischer Kolonisatoren in der Region des Rio de la Plata in Südamerika Anfang des 16. Jahrhunderts: Kannibalische Rituale übertragen sich auf andere Formen der Gier: Vom Kolonialismus über den Konsumrausch des heutigen Kapitalismus bis hin zur Hyperproduktion eines endlosen Jetzt in den sozialen Netzwerken.

Macras verknüpft so mühelos koloniale Geschichte mit hyperkommerzieller Gegenwart und lässt ihre Company wie so oft das Spektrum des menschlichen Fühlens und Schreckens mit jeder Faser verkörpern. Aufgeführt wird noch drei Mal (18.01., 08.02. & 25.02.2025), die Karten gibt es hier – und während die zerbrechlichen Bühnen unserer Stadt mitten in den hässlichen Schlund der Gier blicken, könnte es wohl kaum ein besseres Stück oder einen besseren Moment geben, um mal wieder ins Theater zu gehen.

Text: Hilka Dirks / Fotos: Thomas Aurin

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Linienstr.227, 10178 Berlin–Mitte; Stadtplan
The Hunger“ von Constanza Macras, 18.01., 08.02. & 25.02.2025. Karten gibt’s hier.  

@constanzamacrasdorkypark
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