Wir schreiben das Jahr 1968 und eine Frau führt einen Mann auf allen Vieren an einer Leine durch die Wiener Innenstadt: Die Frau ist die Medienkünstlerin Valie Export, der Mann ihr Kollege Peter Weibel, mit dem sie in den Sechzigern häufiger zusammenarbeitete. Die Aussage ihrer Kunstaktion fiel so einfach wie wirksam aus: Export verkörpert augenzwinkernd die aus dem Patriarchat befreite Frau, die Rollenbilder bis ins Extrem umkehrt. Den Grundstein dafür hatte sie bereits ein Jahr zuvor gelegt, als sie ihren bürgerlichen Namen ablegte und sich fortan, angelehnt an eine Zigarettenmarke “Valie Export”, geschrieben in Versalien, nannte. Weder den Nachname ihres Vaters, noch den ihres Ex-Mannes wollte sie mehr tragen. Stattdessen legte sie sich eine neue Identität wie ein Statement zu, die nur sie ausfüllen konnte. Das C/O Berlin widmet der 83-jährigen Österreicherin nun eine umfassende Retrospektive, die nachzeichnet, wie Export nicht nur soziale Normen, sondern das Sehen an sich, herausforderte.
Gezeigt wird darin eines ihrer bekanntesten Werke: Das Tapp- und Tastkino. In einer Fußgängerzone schnallte sie sich einen Karton vor den nackten Oberkörper und forderte Passant:innen auf, ihre Brüste – die Leinwand – für wenige Sekunden zu berühren und ihr dabei in die Augen zu schauen. Export wollte den Filmbegriff erweitern, vor allem ging es ihr aber um eine radikale Kritik am männlichen Blick auf den weiblichen Körper. Diese Auseinandersetzung zieht sich durch eine Vielzahl ihrer Arbeiten – so auch, als sie sich für die Aktion „Body Sign Action“ 1970 einen Strumpfbandhalter tätowieren ließ. Wie für viele Künstlerinnen ihrer Generation blieb ihr eigener Körper über die Jahre hinweg ihr wichtigstes Ausdrucksmittel. Mal führte sie ihn als Projektionsfläche männlicher Lust, mal als Schmerzempfänger vor. Dass es in ihren Arbeiten immer auch um die Frage danach geht, welchen Platz eine Frau in der Gesellschaft einnehmen kann, beweist ihre Fotoserie „Körperkonfigurationen“. Im Gegensatz zu den radikalen Aktionen wirken die Schwarz-Weiß-Fotografien auf den ersten Blick zurückhaltend. Doch in den Szenen liegt eine stille Kraft: Export erobert sich den öffentlichen Raum zurück, indem sie sich bäuchlings auf die Straße legt oder an Gebäude, Treppenstufen und Architektur schmiegt. Ihren Platz in der Kunstgeschichte kann Valie Export niemand nehmen. Sie ist, wie das C/O zeigt, zu Recht eine der wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart.
Text: Laura Storfner / Credits: Body Sign B, 1970, The Albertina Museum, Vienna © Valie Export, VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Gertraud Wolfschwenger; Valie Export – Smart Export, Self-Portrait, 1970, The Albertina Museum, Vienna © Valie Export, VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Gertraud Wolfschwenger; Aus der Mappe der Hundigkeit, 1968, gemeinsam mit Peter Weibel, Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac © Valie Export, VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Joseph Tandl
C/O Berlin Amerika Haus, Hardenbergstr.22–24, 10623 Berlin-Charlottenburg; Stadtplan
Valie Export: Retrospektive, bis 22.05.24.
Täglich 11–20h.
@coberlin