Stores mit Seele – davon gibt’s gefühlt immer weniger auf der Welt. Die meisten, in denen man Gemütlichkeit und Ruhe verspürt, sind Traditionsgeschäfte. Vielen Eröffnungen gelingt zwar das Spektakel des Neuen, doch nur wenigen das Gefühl des Ankommens. Gekommen, um zu bleiben, ist vor einer Woche der neue Highsnobiety Flagship Store Unter den Linden – und wie. Nach mehr als zehnjährigem Bestehen manifestiert sich hier das weltweit erste physische Geschäft des Unternehmens, welches getrost auch Hypesociety heißen könnte und dessen kollaborative Online-Drops oft schon nach wenigen Stunden ausverkauft sind. Dieses Konzept nun zurück ins Analoge zu übertragen, abseits von Pop-ups und limitierten Events, scheint nicht ganz risikoarm. Doch der Ort schafft den Spagat: von Streetstyle bis Luxus, von Underground zu Classics, von Gründerzeit zu Industrie, von Spektakel zu Tradition. Das Geschäft soll als Filter funktionieren und sich so zu einer Pilgerstätte der Mode- und Trendbewussten dieser Welt entwickeln: Jil Sander, Margiela, Lemaire, Jean-Paul Gaultier. Die Liste der Labels liest sich erwachsen und setzt den Hintergrundton. Für regelmäßige Events, gewagte Kollaborationen und freshe Drops einerseits, für eine subtil interessierte Stammkund:innenschaft andererseits – und hebt sich so ab von konkurrierenden Konzepten.
Dass dies zweifelsfrei gelingen wird, liegt auch am Raum. Entworfen vom Architekturstudio Vaust und Inhouse-Designer:innen ist ein Laden wie ein Denkmal entstanden: Der bestehende Betonboden wurde unter großem Aufwand einer industriellen Wunde gleich durch aufwendigen Schliff und mit Terrazzo-Ergänzungen geheilt. Die Wände teils mit den Original-Kacheln belassen und filigrane Regale in den Klinker geschnitten. Gebogener Stahl mischt sich mit historischem Netzglas, Spiegeln und Porenbeton. In atemberaubender Detailliebe ausgeführt wurde das Ganze von der Berliner Geheimtipp Agentur Hennecke Associates, aus deren Feder auch die Idee des schallhemmenden Papiers in Betonoptik entsprang: Dieses strukturiert sowohl die Decke als auch Wände und absorbiert nebenbei 95 Prozent des Schalls. Die so subtil entstehende Entspannung schluckt sofort den Großstadtstress. Lärmende Touris, piepende Push-Notifications und drängende Deadlines verkriechen sich wie von Zauberhand in den Ritzen der aufgespritzten Deckenoberfläche. So entsteht Muße: zum Düfte riechen und Stoffe fühlen, Kunstbände blättern und Kleinigkeiten entdecken inmitten dieser Architektur-gewordenen Allegorie der Produktion und Industrie, der Vergangenheit und Zukunft einer ganzen Branche. Und sofort ist klar, dass der neue Highsnobiety-Store nirgendwo anders sein könnte, als hier: Auf dem bekanntesten und traditionsreichsten Boulevard des Landes.
Text: Rosa Weiland / Fotos: Highsnobiety
Highsnobiety Flagship Store, Unter den Linden 40, 10117 Berlin–Mitte; Stadtplan
@highsnobiety