Toronto, Anfang der Siebzigerjahre. AA Bronson, Felix Partz und Jorge Zontal wirken als Künstlerkollektiv unter dem Namen General Idea in die Stadt hinein. Ihre Performances und Aktionen sind öffentliche Spektakel – sie leihen sich Gesten aus Fernsehshows und Schönheitswettbewerben, um diese ad absurdum zu führen. Sich selbst beschreiben sie damals als Dreiergespann, das die Zukunft konstruieren will, so wie sie ihnen gefällt: „Wir nehmen jede mögliche Form an, welche auch immer unsere dreifache queere Männlichkeit braucht: eine Pudel-Gang, ein Baby-Liebesdreieck, ein Theater aus Ärzten.“ Der Gropius Bau widmet ihnen nun eine umfassende Retrospektive, die mit mehr als 200 Arbeiten auf ihr Schaffen zurückschaut. General Idea wollte von Anfang an Menschen erreichen: Ihre Kunst sollte für alle zugänglich sein. Nicht selten lichten sie sich in Selbstporträts ab: mal als ernst dreinschauende Pudel, mal als die drei Grazien. Sie nehmen sich selbst und die Mechanismen der Kunstwelt satirisch aufs Korn, eignen sich Motive von Übervätern wie Caspar David Friedrich und Mondrian an, um ihre eigenen Botschaften unters Volk zu bringen.
Ein zentrales Thema, mit dem sie sich immer wieder auseinandersetzen, ist die Aids-Epidemie. Als sich das HIV-Virus ab den Achtzigern verbreitete, wollten sie der Stigmatisierung und Ausgrenzung entgegenwirken. In Anlehnung an Robert Indianas Pop-Art-Emblem „LOVE“ von 1964 entwickeln sie Poster mit dem Schriftzug „AIDS“, die sie in New York, San Francisco, Toronto und Berlin auf den Straßen tapezieren. Ihre Plakate waren ein radikaler Akt der Sichtbarmachung in einer Zeit, in der über die Krankheit nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde. Auch ihre Installation „Fin de siècle“, ein Eismeer aus Styroporplatten, das den Lichthof des Gropius Baus einnimmt, ist als Kommentar auf die Aids-Krise gelesen worden: Die Gesellschaft setzt alles daran, Robbenbabys zu retten, doch hat für HIV-Infizierte nur Kälte übrig. Kurz nach den Aktionen erfuhren Felix Partz und Jorge Zontal Anfang der Neunziger von ihren eigenen HIV-Diagnosen. Auch das Leben mit der Krankheit übersetzen die drei in Kunst – sie verwandeln Medikamente in Skulpturen und porträtieren sich selbst als Ärzte. Mit dem Tod von Partz und Zontal fand General Idea 1994 als Kollektiv ein Ende, doch AA Bronson – der heute in Berlin lebt und arbeitet – erinnert bis heute an die Kollaborateure. Entstanden ist so eine bewegende Ausstellung, die von der Vergangenheit erzählt, aber allen voran von Freundschaft, Liebe und Aktivismus.
Text: Laura Storfner / Credits & Fotos: Gropius Bau, Luca Girardini, Royal Bank of Canada Art Collection
Gropius Bau, Niederkirchnerstr.7, 10963 Berlin-Kreuzberg; Stadtplan
Die Retrospektive “General Idea” läuft bis 14.01.2024.
Mo, Mi, Do, Fr 11–19h, Sa+So 10–19h
@gropiusbau
@generalidea_