EINE GESCHICHTE DER LIEBE IN 300 OBJEKTEN: KUNST VON LEANNE SHAPTON BEI THOMAS FISCHER

EINE GESCHICHTE DER LIEBE IN 300 OBJEKTEN: KUNST VON LEANNE SHAPTON BEI THOMAS FISCHER

Fragt man Künstler:innen, Kunstkritiker:innen und Kreative nach ihrem Lieblingsbuch, landet ein Titel bei vielen ganz oben auf der Liste: Es ist Leanne Shaptons „Bedeutende Objekte…“ von 2009. Aufgebaut wie ein fiktiver Auktionskatalog, erzählt der Band von so viel mehr als bloßen Gegenständen, die versteigert werden sollen: In den über 300 Objekten liegt die Liebesgeschichte von Lenore und Harold – oder eher ihr Ende. Shapton gelingt es, den wohl beliebtesten Erzählstoff der Geschichte – boy meets girl, boy leaves girl – auf bittersüße Art neu aufzurollen. Nachdem das Buch lange vergriffen war, ist es nun neu erschienen. Am kommenden Mittwoch (17.01.2024) lädt Friederike Schilbach vom Aufbau Verlag gemeinsam mit Thomas Fischer in seine Galerie, um die Neuauflage zu feiern. Wie in vielen Versteigerungen von berühmten Nachlässen setzt sich Shaptons Phantasieauktion nicht aus rekordlosen, sondern vor allem aus sentimentalen Erinnerungsstücken zusammen: Gleich auf den ersten Seiten des Katalogs findet man eine Cocktailserviette mit Leonores hingekritzelter E-Mail-Adresse und die ersten gemeinsamen Fotos, die das frisch verliebte Paar zeigen. Es folgt neben Büchern und Kleidungsstücken eine Sammlung von Salz- und Pfefferstreuern, die die beiden aus diversen Restaurants als Souvenirs geklaut haben. Man lernt Lenores und Harolds Eigenheiten kennen, liest ihre Einkaufslisten und Liebesbriefe.

Sie arbeitet als Rezeptkolumnistin bei der „New York Times“, er als Fotograf, der öfter auf Reisen als zu Hause ist. Beide haben Geschmack und Humor, tragen Helmut Lang und Rachel Comey, lesen Virginia Woolf und Henry James. Wie sich ihr Zusammensein über die Jahre verändert, lässt sich an den Objekten ablesen: So treten neben die vier Postkarten, die zusammen den Schriftzug „Miss you very much“ ergeben, Beziehungsratgeber und ein Venedig-Reiseführer, in dem Leonore in handgeschriebenen Notizen das Ende der Beziehung vorwegnimmt („cried in the shower“). Als fiktives Liebespaar verpflichtete Shapton ihre Freund:innen: die Autorin Sheila Heti und den Grafiker Paul Sahre. Die gestellten Spontanaufnahmen der beiden übernahm der Fotograf Jason Fulford. Shapton beweist, dass es oft nicht mehr als ein paar nüchterne Zeilen und Fotos braucht, um einen tiefen und bisweilen herrlich voyeuristischen Einblick in das Auf und Ab einer Beziehung zu gewähren. Es ist dieser kollaborative, multimodale, unkonventionelle Ansatz, der viele von Shaptons Arbeiten auszeichnet: Illustratorin, Schriftstellerin und Künstlerin sind für sie nicht nur Jobbezeichnungen, die als Dekoration auf ihrer Website ausgestellt werden. Shapton ist in allen drei Disziplinen zu Hause oder, wie sie selbst sagt: „I write with words and pictures“. Nachdem sie lange als Art Direktorin der Op-Ed-Seite der New York Times arbeitete, konzentrierte sie sich in den letzten Jahren verstärkt auf ihre Aquarelle. Eine Auswahl wird Thomas Fischer bis Mitte Februar in seiner Galerie zeigen. Auch in diesen Bildern spürt Shapton dem Geist der Dinge nach: Ausgehend von Fotos, wie man sie auf Verkaufsplattformen wie eBay findet, untersucht Shapton die Bildsprache von Gebrauchsgegenständen. Shapton haucht den unvorteilhaft fotografierten Stücken eine stille Eleganz ein. Sie weckt Begehrlichkeiten, die dem Krimskrams, den Stofftieren und Kleidungsstücken in der Regel fehlen. Und setzt die Dinge so mit demselben liebevollen Blick in Szene, den ihre Besitzer:innen einst teilten. Am Ende kann man nicht anders: Man muss sich in Shaptons Werke verlieben.

Text: Laura Storfner / Fotos: Sophie Doering

Galerie Thomas Fischer, Mulackstr.14, 10119 Berlin–Mitte; Stadtplan
Do–Sa 12–18h und nach Anmeldung

Leanne Shapton: Nach Bildern – Painted from pictures 18.01.–24.02.2024. Eröffnung & Buchpräsentation Mi 17.01.2024 19–21h

Bedeutende Objekte und persönliche Besitzstücke aus der Sammlung von Lenore Doolan und Harold Morris, darunter Bücher, Mode und Schmuck„, aus dem Amerikanischen von Rebecca Casati, Aufbau, 2023.

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