Skulpturen sind in Nina Canells Werk keine abgeschlossenen Formen, sondern Versuchsanordnungen, die im Wandel begriffen sind. Betreten ist daher erlaubt – und sogar ausdrücklich erwünscht in ihrer aktuellen Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Für ihre Installation „Muscle Memory“ hat die schwedische Künstlerin sieben Tonnen Muscheln aus der Nordsee auf dem Museumsboden verteilt. Mit jedem Schritt, den Besuchende in dieser Umgebung tun, werden die Muscheln kleiner und kleiner, brechen und lösen sich zu feinem Sand auf: Aber nicht nur ihre Form entwickelt sich weiter – auch die Farbe und der Klang, der jeden Fußtritt begleitet, verändern sich im Laufe der Ausstellung. Die Poesie, die im Prozesshaften liegt, zieht sich durch Canells gesamte Praxis. Der aus geschredderten Muscheln gewonnene Stoff – sogenannter Kalzit – taucht als Bestandteil von Beton in ihrer Videoarbeit „Energy Budget“ wieder auf.
Für den Film hat Canell gemeinsam mit Künstler Robin Watkins die Betonfassaden von Wolkenkratzern in Hongkong gefilmt, die teilweise gigantische Löcher in der Architekturstruktur aufweisen. Nach der Lehre des Feng Shui soll mythischen Drachen so die Flugbahn zwischen Himmel und Meer freigehalten werden. Wie sich Körper in der Welt bewegen, welche Hindernisse sie überwinden müssen, was zerbricht und was neu entsteht, sind nur einige der Fragen, auf die Canells Kunstwerke eine Antwort suchen.
Text: Laura Storfner / Fotos: Robin Watkins & Nick Ash
Berlinische Galerie, Alte Jakobstr.124–128, 10969 Berlin–Kreuzberg; Stadtplan
Nina Canell: Tectonic Tender, bis 22.08.2022, Mi–Mo 10–18h, Eintritt 10 Euro / 6 Euro.
@berlinischegalerie