
Man nehme Gustav Mahlers wohl bemerkenswerteste kompositorische Leistung, gebe der Musik einen modernen Anstrich und füge Texte syrischer Autor:innen hinzu. Die Neuköllner Oper hat sich auf dieses Experiment eingelassen – an diesem Samstag (15.10.2022) kann ihre neueste Produktion Neue Lieder von der Erde bewundert werden: Willkommen in einer zeitgemäßen Neuinterpretation von Mahlers „Das Lied von der Erde“. Unter der Leitung der US-amerikanischen Choreographin, Theatermacherin und Tänzerin Sommer Ulrickson wurde die Sinfonie aus dem Jahr 1907 vom Stegreif Orchester überarbeitet. Bei Letzterem handelt es sich um ein Kollektiv von 30 Musiker:innen, die für ihre mutigen und originellen Interpretationen von Klassikern international bekannt sind. Mahlers Originaltext für zwei Singstimmen wurde übrigens von klassischer chinesischer Poesie inspiriert und enthält eine Menge düstere Gedanken über den Jahreszeitenwechsel – Liebe, Sehnsucht und Verzweiflung.
Für die neue Fassung haben sich fünf syrische und deutsche Autor:innen der Themen angenommen, um ihr Leben im 21. Jahrhundert zu reflektieren. Aber nicht nur musikalisch hat die Produktion einiges zu bieten – auch visuell ist der Abend äußerst vielversprechend. Die Stegreif-Musiker:innen bringen ein imposantes Spektakel mit Kostümen von Mireira Vila Soriano auf die Bühne. Mahler wurde von seinen Kritiker:innen oft als „zu modern“ bezeichnet. Heute, mehr als hundert Jahre später, wäre er bestimmt sehr stolz auf diese gewagte Wiederaufnahme seiner Ideen.
Text: Benji Haughton / Fotos: Katharina Kücke, Thomas Koy / Graphic: Katja Schlecht, dakato
Neue Lieder von der Erde feiert an diesem Samstag (15.10.2022) in der Neuköllner Oper Premiere, Karl–Marx–Straße 131/133, 12043 Berlin–Neukölln; Stadtplan
In Deutsch und Englisch mit englischen Übertiteln
@neukoellneroper