VON MÜTTERN UND PUPPEN: DIE GALERIE KEWENIG ZEIGT JAMIE DIAMOND

VON MÜTTERN UND PUPPEN: DIE GALERIE KEWENIG ZEIGT JAMIE DIAMOND

Vorstellungen von Mutterschaft prägen die Kunst seit Anbeginn: Die Madonna mit Kind gehört seit dem Mittelalter zum Bildkanon. Damals sind es Männer, die die Mutterfigur malen und das Bild als Ideal überhöhen. Erst Anfang des 20. Jahrhundert findet man erste Gemälde von Frauen wie Paula Modersohn-Becker, die sich dem Motiv aus ihrer Perspektive annehmen, es in den Alltag zurückholen und in einem realistischen Licht darstellen. Das Hadern mit der Mutterrolle, die Erschöpfung und Angst, nicht zu genügen, brachte in den Siebzigerjahren die Malerin Alice Neel auf die Leinwand. Dass Mutterschaft von unerfüllten Träumen bestimmt sein kann, zeigt in der Galerie Kewenig pied-à-terre nun die Künstlerin Jamie Diamond: Ihre fotografischen Selbstporträts wirken wie Reinkarnationen von bekannten Motiven. Wir sehen Diamond in der Landschaft mit einem Kind im Arm. Sehen sie schlafend auf der Couch, das Kind an der Brust. Andere Bilder zeigen sie am Strand oder in Rückenansicht vor dem Fenster. Doch irgendetwas stimmt an diesen idealisierten Szenen nicht: Das Kind, das Diamond wiegt, ist in Wahrheit eine Puppe.

Es handelt sich um eine hyperrealistische Nachbildung eines Babys, wie man sie in der sogenannten Reborners Community findet. Während die Puppen von einigen Frauen als Sammlerstücke betrachtet werden, füllen sie für andere eine Lücke: Die Puppen gelten als Substitut, als Ersatz für jene, die sich ein Kind wünschen oder eines verloren haben. So stellen die Frauen der Gemeinschaft die Puppen in Handarbeit selbst her und verkaufen sie nicht selten mit fiktiven Geburts- und Adoptionszertifikaten. Seit 2007 arbeitet Diamond an ihrer Serie, sie sprach mit den Mitgliedern über ihre Absichten, Träume und Ängste. In den Bildern von „I Promise to Be a Good Mother“ spürt man, dass sich Diamond nicht über die Frauen, deren Alltag sie abbildet, erhöht. Es sind vielmehr Untersuchungen ihrer eigenen Lebensentscheidungen. Den Titel der Arbeit leiht sie sich von ihrem Tagebuch, in dem sie als junges Mädchen eine Anleitung für ihr späteres Ich festhielt. Diamonds Bilder führen vor, dass die Mutterrolle immer ein gesellschaftliches Konstrukt bleiben wird. Nähe hingegen hat jeder und jede selbst in der Hand.

Text: Laura Storfner / Fotos: Lepkowski Studios Berlin / Credit: Jamie Diamond & Kewenig pied-à-terre (Berlin)

Kewenig pied-à-terre, Mommsenstr.4 | vis-à-vis 69, 10623 Berlin–Charlottenburg; Stadtplan
Jamie Diamond: Faking It bis 10.02.2024 Do–Sa 11–18h

Kewenig, Brüderstr.10, 10178 Berlin–Mitte; Stadtplan
Jamie Diamonds Videoarbeiten Skin Hunger und Constructed Family Portraits bis 27.01.2024

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