DIE NEUEN WOHNMASCHINEN: KONSTANTIN GRCIC IM HAUS AM WALDSEE

DIE NEUEN WOHNMASCHINEN: KONSTANTIN GRCIC IM HAUS AM WALDSEE

Mit Entwürfen im Museum vertreten zu sein, das ist für Konstantin Grcic nichts Neues. Der gebürtige Münchner gilt als bekanntester lebender Industriedesigner Deutschlands, sein „Chair_ONE“ – ein reduzierter Gittersitz aus Aluminiumdruckguss – findet sich in der Sammlung des Berliner Kunstgewerbemuseums genauso wie im V&A in London. Besonders ist an Grcics aktueller Schau im Haus am Waldsee, dass er seine Möbel weder wie Einrichtung noch wie Schlüsselobjekte in einem Schaudepot präsentiert. Für die ehemalige Fabrikantenvilla hat er seine bekanntesten Stücke spielerisch nachgerüstet und szenisch angeordnet. Aus der Armlehne eines Sessels schlängelt sich ein Feuerwehrschlauch, aus seinem „Stool-Tool“ sprießen Antennen. Eine Liege ist über und über mit Selfie-Sticks bedeckt, sodass man sich unweigerlich fragt: Hat man hier einen Influencer-Thron oder ein Folterinstrument vor sich? Erweitert durch diese Prothesen entwickeln Stühle, Sofas und Lampen als sogenannte „New Normals“, wie der Titel der Ausstellung lautet, ein Eigenleben.

Grcics Hybridmöbel scheinen sich ihrer eigentlichen Funktion zu entziehen. Wenn Kabelbinder wie Stacheln aus Sitzflächen ragen oder ein Bürostuhl von Gymnastikbändern im Zaum gehalten wird, beschleicht einen das Gefühl, die Objekte sträubten sich sogar gegen das Benutztwerden an sich. Das Futuristische, das Grcics reduziertem Design ohnehin innewohnt, wird auf die Spitze getrieben. Indem er seine Möbel, die immer ein wenig wirken, als wären sie aus einem Paralleluniversum in Büros, Wohnzimmer oder Restaurants gebeamt worden, durch kleine Eingriffe erweitert, schafft er Ensembles für die Zukunft. Wären seine Hocker, die im Kreis um einen Felsbrocken angeordnet und verkabelt sind, nicht die ideale Ergänzung für jeden Silicon-Valley-Konferenzraum? Perfekt gegen Sehnsucht nach analogem Lagerfeuer in digitalen Zeiten. Als Trendprognose sollten die neuen Formen allerdings nicht verstanden werden: Vielmehr sind es spielerische Versuchsanordnungen, die bewusst irritieren wollen. Und das gelingt. Denn Grcics Rekombinationen stellen ganz grundsätzlich infrage, wie wir schon jetzt mit Einrichtungsgegenständen umgehen: Ein Möbel wird nicht nur genutzt, sondern fordert immer auch eine Reaktion ein. Es fügt sich nicht nur den Bedürfnissen, sondern verlangt von uns eine bestimmte Haltung.

Text: Laura Storfner / Fotos: Florian Böhm

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin–Zehlendorf; Stadtplan

Konstantin Grcic – New Normals, bis 08.05.2022, Di–So 11–18h

@hausamwaldsee
@konstantingrcicdesign

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