ROMANTIK UND ENTSETZEN — STATT LAND MEER VOM RUNDFUNK-SINFONIEORCHESTER BERLIN UND GÄSTEN

ROMANTIK UND ENTSETZEN — STATT LAND MEER VOM RUNDFUNK-SINFONIEORCHESTER BERLIN UND GÄSTEN

Die Faszination an der Klassik lag für mich immer in der Narration. In den komplexen Geschichten, Stimmungen und Emotionen, die Musik erzählen und erzeugen kann. Mystik und Träume, Magie und Unheimliches. Am Samstag (22.04.2023) lädt das Programm des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin zu einem Abend voller Essenz ebenjener musikalischen Qualität. Die Veranstaltung „Statt Land Meer“ setzt die Reihe „Mensch, Musik!“ fort, welche die großen politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Fragen unserer Zeit erforscht. Das Rundfunk-Sinfonieorchester, das Künstlerduo tauchgold und das Berliner Kreativinstitut Catalyst kreieren auf der Bühne unter der Leitung von Dirigent Roderick Cox eine elektronisch-sinfonisch-sprachbasierte, in jedem Fall interdisziplinäre Performance. Und die Inhalte? Leicht romantisch-verklärend beginnt der Abend mit einer der größten Sinfonien überhaupt: „La Mer“ von Claude Debussy. Ein kluger Einstieg, so gilt der Impressionist Debussy doch selbst als Bindeglied zwischen Romantik und Moderne. Doch während er 1903 noch voller Unschuld, (Ehr)furcht, Mystik und Sehnsucht auf das Meer blicken konnte, ist es heute erforscht, überfüllt, leer gefischt und verseucht mit Müll und radioaktivem Abwasser.

Den Folgen der bisher wohl größten atomaren Gräueltat der Menschheitsgeschichte, dem Atombombenabwurf auf Hiroshima, widmet der Abend gleich mehrere Stücke: Krzysztof Penderecki „Threnos. Den Opfern von Hiroshima“ von 1960 und Dai Fujikuras „Akiko’s Piano.“ Solistisch interpretiert von Yu Kosuge berichtet Letzteres von der jungen Pianistin Akiko, die beim Einschlag stirbt; ihr Klavier jedoch blieb erhalten und wird bis heute gespielt – noch mit den Splittern der Druckwelle im Korpus. Begleitet und ergänzt wird das Stück durch das gesprochene Wort, dargestellt von den Schauspielerinnen Svenja Liesau und Vidina Popov. Nach den Menschen sterben die Insekten (Christopher Cerrone „The Insects Became Magnetic“): So viel Leid, Zerstörung, Anklage. In ihrer künstlerischen Interpretation kann dies aufrütteln. Trauer artikulieren. Heilen. Ganz explizit geschieht dies am Ende des Abends. Und auch dies voller Facetten: traditionell, elektronisch, meditativ. Hör selbst!

Text: Hilka Dirks / Credit: P Meisel, Eliad Wagner & Yu Kosuge

Haus des Rundfunks, Masurenallee 8–14, 14057 Berlin–Westend; Stadtplan
Statt Land Meer„: Das ganze Abendprogramm und Tickets gibt es hier.

@rsb_orchester

cee_cee_logo