VOM AUFBEGEHREN DES BEGEHRENS — QUEERNESS IN PHOTOGRAPHY ERÖFFNET BEI C/O BERLIN

VOM AUFBEGEHREN DES BEGEHRENS — QUEERNESS IN PHOTOGRAPHY ERÖFFNET BEI C/O BERLIN

Es sind die Blicke, die berühren. Die Ernsthaftigkeit, das Unmittelbare, der Humor, das Unverstellte, die sich in starkem Widerspruch zur Inszenierung befinden – und hier doch erst durch sie entstehen. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte viel hervor: Während die Industrialisierung begann, in rasendem Tempo voranzuschreiten, wurde nebenbei die Fotografie erfunden – und die Homosexualität. Zumindest in den Worten von Foucault, der hiermit vor allem zum Ausdruck bringen wollte, dass sie durch Medizin und Recht untersucht, definiert und unter Strafe gestellt wurde. Identität, Abbild und Rezeption – die Themen stehen untrennbar voneinander im Fokus der drei Ausstellungen, die sich unter dem Titel „Queerness in Photography“ bei C/O Berlin versammeln und morgen (16.09.2022) um 20 Uhr mit einer Performance der Künstlerin Mandhla. eröffnen – oder sollte man sagen, gefeiert werden? Bis spät in die Nacht kann zur Musik der DJs Bad Puppy und Loticinmitten von Kunst getanzt werden. Die Betrachtung sollte dabei aber definitiv nicht vergessen werden – es lohnt sich!

So zeigt die Sammlung Sébastien Lifshitz in „Under Cover .A Secret History of Cross-Dressers“ fotografische Dokumente aus 120 Jahren Cross-Dressing, Aufbegehren, Suchen und Finden – voller Amateuraufnahmen und voller Emotion. Mit „Casa Susanna . Cindy Sherman Collection“ präsentiert die für ihre eigenen Verkleidungs- und Verzerrungsserien international bekannte Fotografin ihre Privatsammlung der Bilder der Casa Susanna: Sherman entdeckte die Fotografien des geheimen Treffpunkts und Safe Spaces für Cross-Dresser:innen und trans* Frauen im Bundesstaat New York der 1950er und 1960er-Jahre durch Zufall auf einem Flohmarkt. Hier offenbaren sich Bilder voller Unbeschwertheit und Experimentierfreude aus einer Zeit, in der das Abweichen von der Heteronormativität noch mit hohen gesellschaftlichen Restriktionen und Sanktionen einherging. Die dritte Ausstellung „Orlando“ wurde von Schauspielerin Tilda Swinton für das amerikanische Fotomagazin Aperture kuratiert. In Bezug auf den gleichnamigen Film von Sally Potter aus dem Jahr 1992 – in dem Swinton, basierend auf Virginia Woolfs viertem Roman, die titelgebende Hauptrolle spielt – zeigen sich unterschiedliche Perspektiven auf Fragestellungen von Macht und Deutungshoheit, Sexualität, Geschlecht und Konstruktion. Und auch wenn die komplementären Ausstellungen die gleichen Themen behandeln, so erzählen sie doch mit völlig unterschiedlichen visuellen Stimmen ihre Geschichten von Selbstermächtigung und Vermächtnis, von Begehren und Aufbegehren – und füllen so eine viel zu lange bestehende Leerstelle in unserem kollektiven Bildgedächtnis.

Text: Hilka Dirks / Credit: Mickalene Thomas . Courtesy the artist and Yancey Richardson Gallery, New York; Zackary Drucker . Courtesy the artist and Luis De Jesus, Los Angeles; Anonymous, Guilda, USA, ca. 1950. Sébastien Lifshitz Collection

C/O Berlin, Hardenbergstr.22-24, 10623 Berlin–Charlottenburg; Stadtplan
Queerness in Photography 17.09.2022–18.01.2023
Opening 16.09.2022 20–01h30 (Eintritt frei). Ab 17.09.2022 täglich 11–20h.

@coberlin

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