Wenn man ein Bild für das FIND 2025, das Festival für Internationale Neue Dramatik an der Schaubühne, finden wollte, dann müsste man nur von Caroline Guiela Nguyens neuem Theaterstück erzählen: In „Lacrima“ verwebt die französisch-vietnamesische Regisseurin – der das diesjährige Festival gewidmet ist – Fragen nach Herkunft, Klasse und Arbeit zu einer Geschichte, die Kontinente umspannt. Beauftragt damit, ein Hochzeitskleid für das britische Königshaus zu fertigen, machen sich ein britischer Modeschöpfer, eine Schnittzeichnerin in Paris, Spitzenklöpplerinnen in Alençon und ein Perlensticker in Mumbai ans Werk. Das Erkunden von universellen Themen aus verschiedenen geografischen Perspektiven zeichnet das FIND aus: Aktuelle Theaterstücke aus allen Teilen der Welt, immer auch auf Englisch übertitelt, kommen verlässlich seit mehr als zwanzig Jahren in Wilmersdorf auf die Bühne. In diesem Jahr richtet sich der Blick mit Stücken aus Frankreich, Belgien, Irland, Spanien, den USA und Kirgisistan nach innen, auf die Familien in den eigenen vier Wänden. Aber auch beim FIND ist das Private, ganz gleich ob in Saigon oder Strasburg, immer dezidiert politisch. So wagt der wallonische Schauspieler Cédric Eeckhout einen sehr persönlichen Blick zurück, indem er für das Stück „Héritage“ seine eigene Mutter verpflichtet: Auf dem Papier lebte die 75-jährige Jo wie eine Frau in der damaligen Zeit zu leben hatte – sie heiratete mit 19, bekam drei Kinder, baute ein Haus, kaufte Kleider und den neuesten Staubsauger. Hinter all der Konventionalität findet Cédric Eeckhout trotzdem ein emanzipatorisches Vorbild: eine Heldin, die unabhängig sein wollte und dieses Freiheitsgefühl an ihren Sohn weitergab.
Die Vergangenheit voll Gewalt und Trauer aufarbeiten, das will auch die Hauptfigur in „Safe House„: In einer leerstehenden Handballhalle im irischen Galway singt sich die junge Protagonistin von Tony-Gewinner Enda Walsh und Komponistin Anna Mullarkey in einen neuen Lebensabschnitt. Mit ähnlichen Traumata haben die Figuren in Milo Raus „Medea’s Kinderen“ zu kämpfen: Rau verblendet Euripides‘ Tragödie der Kindermörderin mit einem realen belgischen Fall und lässt die Kinder selbst zu Wort kommen. Für ihre Mutter sprechen und übersetzen muss auch die Tochter in Caroline Guiela Nguyens neuster Arbeit „Valentina„. Guiela Nguyen, die für das Stück in der rumänischen Community von Straßburg recherchierte, erzählt, was es bedeutet, als Kind mit Migrationsgeschichte für das Leben der Eltern Verantwortung zu übernehmen. Denn das Mädchen Valentina sitzt zwischen den Stühlen – übersetzt es eine Krankheitsdiagnose, die auf nichts Gutes hoffen lässt, oder lässt es die Mutter im Ungewissen? Die FIND-Stücke entlassen einen mit diesen Fragen zurück in den Alltag: Wie gehen wir mit Schmerz – dem persönlichen und dem der anderen – um? Wie finden wir Worte, wenn wir den Ausweg nicht sehen und doch von Hoffnung sprechen wollen?
Text: Laura Storfner / Fotos: Bea Borgers, Jean Louis Fernandez
Schaubühne am Lehninger Platz, Kurfürstendamm 153, 10709 Berlin–Wilmersdorf; Stadtplan
FIND – Festival Internationale Neue Dramatik 04.–13.04.2025. Das komplette Programm findest Du hier.
@schaubuehne_berlin