Betritt man den zweiten Hinterhof der Kantstraße 79, ist es plötzlich ganz leise, kühl und die Stimmung fast sakral: Ein Weg schlängelt sich vom Tor zum Haus, links ein geplant-wilder Garten, rechts eine Brache, mittlerweile komplett von der Natur zurückgeholt. Am Ende der Eingang zum jetzigen Hotel Wilmina. Einst war hier das Charlottenburger Frauengefängnis verortet, Teil eines denkmalgeschützten Ensembles aus dem 19. Jahrhundert. Der erste Hof führt zur Schleuse, in ihr befindet sich heute der große Saal des Restaurant Lovis. Das Gebäude zur Straße ist das ehemalige Amtsgericht, hier fand nun schon zweimal der Amtsalon statt, eine Art Pop-up Kunstmesse verschiedener Berliner Galerien. Das Konzept stammt, so wie die gesamte behutsame Umwandlung des Areals, aus dem Architekten-Haus Grüntuch Ernst – durch Engagement der gesamten Familie wurde hier ein besonderer Ort geschaffen, ohne dabei die geschichtsträchtige und teils dunkle Vergangenheit der Gebäude zu überschreiben (während des zweiten Weltkriegs waren auch Widerstandskämpfer:innen dort inhaftiert). Sie ist an allen Ecken sicht- und auffindbar, ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen. Und so kann man heute in Zimmern hinter besonders dicken Wänden schlafen, unter handgesammelten Herbarien in Betten, so bequem, dass es nicht verwundert zu hören, wie viele Modelle Probe geschlafen wurden, bis die Entscheidung für die perfekte Matratze fallen konnte. Alles ist geschmacks- und pietätvoll, reduziert und dabei doch voller Seele – eine Kombination, die sogar Hotels mit weniger schwerem Erbe nur selten gelingt.
So ist auch das Hotelrestaurant eigentlich eher ein Restaurant neben einem Hotel. Die Schleusenlage ermöglicht einen Zugang, ohne das eigentliche Hotelgelände zu streifen. Ein ungewöhnlicher räumlicher Luxus, welcher sich im Gefühl absoluter Privatie niederschlägt. Betritt man die Zimmer, wird der Körper gleich schwer: frisch geduscht mit Buch ins Bett und nie wieder aufstehen. Außer vielleicht, um einen Abstecher in die Sauna unterm Dach zu machen. Oder wenn man hungrig wird: In diesem Fall ist man im Lovis bestens versorgt. Küchenchefin Sophia Rudolph (die einige noch aus dem Panamakennen werden) tischt konsequent Contemporary German Cuisine auf. Saisonal, regional, das Gemüse steht hier im Mittelpunkt. Auch das Frühstück bleibt diesem Thema treu. Der Käse kommt beispielsweise von Blomeyer’s Käse um die Ecke. Es wird in einer kleinen geschmackvollen Frühstücksecke serviert und ist damit nur für Übernachtungsgäst:innen verfügbar – und ein weiterer Grund für eine kleine Staycation im Berliner Westen, an einem Ort, an dem man die umgebende Stadt eh vergisst.
Text: Hilka Dirks / Fotos: Robert Rieger / Credit: Wilmina
Wilmina Hotel und Lovis Restaurant, Kantstr.79, 10627 Berlin–Charlottenburg; Stadtplan
Der nächste Amtsalon findet 16.–18.09.2022 statt. Einen Tisch im Lovis kann man jederzeit reservieren, für ein Hotelzimmer geht es hier entlang.