Noah Davis malte alltägliche Situationen. Eigentlich, denn Davis‘ Bildwelten kommen einem verträumt vor. Der verschleierte Blick seiner Modelle, der merkwürdig wolkenlose Himmel, die fensterlosen Fassaden – seinen Arbeiten wohnt eine träge Schönheit inne. Man fühlt sich wie in einem Traum, in dem man sich nicht sicher ist, ob man schläft. Das Setting: Seltsam häuslich und leicht beunruhigend. Für seine Motivsuche ging Davis auf Flohmärkte, durchforstete private Archive und Familienfotos. Seine Bilder zeigen People of Color. Im öffentlichen Schwimmbad, in Straßenszenen, zu Hause auf dem Sofa. Über seine eigene Arbeit sagte Davis, dass sie nicht politisch sei – wenn überhaupt, dann durch die Tatsache, dass er Schwarze Menschen in alltäglichen Situationen zeigt. In seinen Bildern macht er Normalität zur Hauptdarstellerin und haucht ihr Magie ein. Das Minsk zeigt seit September 2024 seine erste institutionelle Retrospektive, eine Kollaboration mit dem Barbican in London und dem Hammer Museum in Los Angeles, Davis’ Heimat. Mit 60 Arbeiten aus seinem gesamten Werk, bisher ungezeigten Gemälden, Papierarbeiten und Skulpturen zeigt die chronologisch angelegte Ausstellung Davis’ unermüdliches Schaffen vom Jahr 2007 bis zu seinem frühen Tod im Jahr 2015. Parallel zur Ausstellung wird die Performance „In Circulation“ uraufgeführt: Sieben Sänger:innen performen zwischen Jazz, Neo-Soul, Experimental-Elektronik und Tanz. Das Stück erforscht die zyklische Natur des Lebens.
Text: Inga Krumme / Fotos: Ladislav Zajac & Stefan Wieland / Credit: Noah Davis, Installation view of the exhibition Noah Davis, DAS MINSK Kunsthaus in Potsdam 2024, The Estate of Noah Davis; Courtesy The Estate of Noah Davis and David Zwirner; Noah Davis, Untitled, 2015; The Museum of Modern Art, New York; Geschenk von Marie-Josée und Henry R. Kravis anlässlich des 80; Geburtstages von Jerry Speyer, 2020; The Estate of Noah Davis; Courtesy The Estate of Noah Davis und David Zwirner
Das Minsk Kunsthaus in Potsdam, Max–Planck–Str.17, 14473 Potsdam; Stadtplan
Noah Davis bis 05.01.2024. In Circulation 22. & 23.11.2024
@dasminsk
Novembergrau, Berlingrau, Allesgrau? Wie gut, dass es das Kino gibt. Und wie gut, dass es ab und zu noch Filme gibt, die man einfach auf der großen Leinwand erleben muss, wie die Werke des algerisch–französischen-brasilianischen Regissuers Karim Aïnouz. Sein neuer Film, der betörende tropical Neonoir „Motel Destino“ läuft seit heute (14.11.2024) endlich in den deutschen Kinos an. Zwischen grellen Neonfarben und der Weite des nordbrasilianischen Himmels entführt Aïnouz uns in eine Welt, die so verlockend wie gefährlich ist, so farbenfroh wie düster. Der junge Heraldo, frisch gestrandet nach einem verpfuschten Raubüberfall, findet hier Zuflucht. Doch was als Versteck beginnt, entwickelt sich rasch zu einem Mikrokosmos menschlicher Begierden und Machtspiele. Der undurchsichtige Motelbesitzer Elias sieht in Heraldo nicht mehr als billige Arbeitskraft, während seine Frau Dayana in dem Neuankömmling einen Hauch der Freiheit wittert, nach welcher sie sich so verzweifelt sehnt. Aïnouz inszeniert ein Dreiecksverhältnis als Tanz auf dem Vulkan. Die Kamera von Hélène Louvart fängt jede Schweißperle, jeden begehrenden Wimpernschlag, jeden offene Pore ein. Die Darstellenden Igor Xavier, Nataly Rocha und Fabio Assunção verkörpern ihre Rollen so, dass die Grenzen von Sehnsucht und Verzweiflung verschwimmen.
Aïnouz nutzt die Kulisse des abgelegenen Motels, um ein Bild der brasilianischen Gesellschaft zu zeichnen, die nach den Jahren unter Bolsonaro wie ein Pulverfass wirkt, jederzeit bereit zu explodieren. Die Charaktere sind keine Helden, sondern Menschen am Rande der Gesellschaft, die verzweifelt nach einem Ausweg suchen. Ihre Körper werden zur Leinwand, auf der sich ihre Hoffnungen und Ängste abzeichnen. Jede Berührung, jeder Blick ist aufgeladen mit Bedeutung. „Motel Destino“ ist ein Werk, das noch lange nachwirkt, das uns zwingt, über die Grenzen von Moral und Begehren nachzudenken, und das uns daran erinnert, wie dünn der Firnis der Zivilisation tatsächlich ist. Gleichermaßen betört und verstört, zieht Aïnouz’ die Zuschauer in seinen Bann und hält sie doch auf Abstand. „Motel Destino“ ist kein leichter Film, aber einer, der uns daran erinnert, warum wir ins Kino gehen: Um berührt, aufgewühlt und herausgefordert zu werden und dem ganzen Grau dieser Stadt, Welt und Jahreszeit zumindest für zwei Stunden auf immer zu entfliehen.
Text: Alina Herbel / Credit: Santoro
Motel Destino
Der Film wird in folgenden Kinos ab dem 14.11.2024 zu sehen sein: fsk Kino, Neues Off, Filmtheater am Friedrichshain, Rollberg Kinos, delphiLUX, and Il Kino.
@piffl_medien
Im Durchschnitt verbringt ein Mensch 374 Tage seines Lebens mit Warten: am Bahnhof, vor Abfahrt des Zuges, im Stau, vor dem Take-off im Flugzeug. Wir warten an anonymen Orten – nicht weil wir uns für sie entscheiden, sondern weil wir müssen. Es sind Räume ohne Identität, die ausschließlich dem Zweck dienen, uns zum eigentlichen Ziel zu führen. In ihrer neuen Ausstellung bei Office Impart stellt Lena Marie Emrich ab Freitag (15.11.2024) diese Nicht-Orte als Fragmente ins Zentrum: Sie verleiht ihnen Gestalt und isoliert sie, um sie überhaupt erst sichtbar zu machen. Ausgehend vom Gedicht „Ein Platz im Zug“ (2002) des palästinensischen Autors Mahmoud Darwish führt sie vor, dass Bahnhöfe und Abflughallen mehr sein können als gesichtslose Durchgangsportale. „All the passengers return to their families“, schreibt Darwish. „But we do not return to any home.“ In seinen Worten und Emrichs Werken liegt keine falsche Romantik.
Beiden geht es um Schmerz und Verlust: In Emrichs Werken ist es die kühle Funktionalität der Klapptische, die wir aus Zugabteilen und Flugzeugkabinen kennen. Emrich überhöht ihre Beiläufigkeit, indem sie die Oberflächen veredelt. So unscheinbar diese Objekte im Alltag wirken mögen, sind sie doch immer Symbole für Ankunft, Abschied und einen Zwischenzustand. Dieses Gefühl ist auch in ihren Porträts der Performancekünstlerin Bianca LeeVasquez zu spüren, die unter anderem die titelgebenden „Brace Position“ einnimmt. Bekannt ist die Pose aus den Sicherheitsanweisungen der Flugbegleiter:innen, aktiv haben sie aber vermutlich nur die wenigsten je einnehmen müssen. In dieser Haltung liegt jedoch so viel mehr: Die Pose ist Teil einer Demonstration, der kaum jemand Beachtung schenkt. Einer Demonstration, die als Wartezeit vor dem Abheben gewertet wird — und das, obwohl sie Leben retten kann.
Text: Laura Storfner / Credit: Lena Marie Emrich
Office Impart, Waldenserstr.2-4, 10551 Berlin–Moabit; Stadtplan
Lena Marie Emrich – Brace, Brace 15.11.–10.01.2025. Eröffnung Fr 15.11.2024 18–21h
@office_impart
@lenamemrich
Softeis, Karussell, Grilletta und große Kinderaugen: Als der Kulturpark Plänterwald 1969 in Treptow eröffnete, war er der erste und einzige Vergnügungspark der DDR. Anderthalb Millionen Menschen zog der „Kulti“, wie er liebevoll genannt wurde, jährlich an. Nach der Wende wurde der Park weiterbetrieben, doch die Besucher:innenzahlen sanken drastisch. Seit 2001 standen die Fahrgeschäfte still und die Natur holte sich das Gelände zurück. Das verfallene Riesenrad und die Dinosaurierfiguren verwandelten den Ort rasch in einen Abenteuerspielplatz für Fotograf:innen und Raver:innen, die dieses Fleckchen Berlin im Dornröschenschlaf wenigstens für ein paar Stunden aufwecken wollten. Die bewegte Geschichte des Kulturparks wird nun von Künstler:innen im Spreepark Art Space neu aufgerollt.
Sie nähern sich dem Sehnsuchtsort aus verschiedenen Perspektiven, hinterfragen das staatlich kontrollierte Vergnügen und schauen hinter die Kulissen des Rummels. Christiane Eisler begleitete für ihre Fotoserie „Kulturpark“ in den 1980ern eine Gruppe junger Punks zu den Fahrgeschäften und Buden. Andrea Pichl erzählt in einer dreiteiligen Installation anhand der Kleinarchitekturen des Parks seine Veränderung, während Anselm Reyle das Gelände nach der Schließung fotografisch festhielt. Zusammengehalten werden die künsterlischen Explorationen von Erinnerungen aus erster Hand: Für ihr Hörstück „Leben unterm Riesenrad“ hat die Autorin Anne Waak ehemalige Besucher:innen und Betreiber:innen interviewt. Ihre Berichte begleiten uns durch die Räume und geben eine Ahnung vom Lebensgefühl „Kulti“.
Text: Laura Storfner / Credit: Nachlass VEB Kulturpark, Dieter Möller; Christiane Eisler, Kulturpark, Fotoserie, 1982/83; X. Weltfestspiele der Jugend, 1973, Bundesarchiv, Bild 183-M0802-405 / Wolfgang Thieme
Spreepark Art Space, Eierhäuschen / Spreepark, Kiehnwerder Allee 2, 12437 Berlin; Stadtplan
10.11.2024–23.02.2025
@spreeparkartspace
Alles begann mit der Frage: Wie zugänglich sind zeitgenössische Kunstbücher aus Asien, die von unabhängigen Verlagen veröffentlicht werden? Hin und wieder ploppen sie vereinzelt im Regal unserer liebsten Buch- und Magazinläden auf, oder wir werden in der Staatsbibliothek fündig. Während meines Grafikdesignstudiums fand ich jedoch meist die Bücher am spannendsten, die selbst von jungen Künstler:innen und Student:innen in kleinen Auflagen publiziert wurden – diese ließen und lassen sich oft nur schwer auftreiben. So begann auch Sam Kim 2022, Kunstbücher selber zu sammeln und sie in einem Raum für alle zugänglich zu machen: Common Imprint vereint über 600 Independent-Publikationen aus Asien und bietet so eine gemeinsame Plattform für alle, die mehr über publizierende Disziplinen aus Süd- und Ostasien erforschen wollen. Der sogenannte „Reading Room“ ist wie ein Labor zu verstehen – Du darfst Dich hier frei bewegen und hast Zugang zu einer Sammlung, die Du allein womöglich nie gefunden hättest. Sie umfasst Bücher über Fotografie, Film, Design, Architektur und gibt Einblicke in die Werke unabhängiger Verlage und in experimentelle Projekte, die von Künstler:innen und Studierenden initiiert wurden. Common Imprint lädt auch regelmäßig zum Dialog ein: Es werden Vorträge gehalten, Veranstaltungen und Workshops organisiert und auch Ausstellungen konzipiert. Durch die Sammlung kannst Du jedes Wochenende blättern, nur anmelden solltest Du Dich vorher hier.
Text: Robyn Steffen / Fotos: Common Imprint
Common Imprint, Zionskirchstr.16, 10119 Berlin–Mitte; Stadtplan
@commonimprint